Oppressed White Male Alert!

Ein paar Anmerkungen zum Artikel „Repression für alle“ von Leo Fischer

So viel schlaues hätte eins schreiben können zum Begriff des Privilegs. Gerne auch Kritisches. Das geht aber nur, wenn nicht schon im Voraus klar ist, dass das ja ohnehin alles repressiver Quark ist. Weil: wer von Privilegien spricht, will anderen, nämlich den Privilegierten, immer nur was wegnehmen!

Und so kommen, wo auch immer Menschen über „männliches/weißes/heterosexuelles Privileg“ sprechen, die selbsternannten Freiheitskämpfer angelaufen, um laut irgendwas von „Unterdrückung!“ zu schreien. Analog zur Aussage „die Kommentare unter jedem Beitrag zum Feminismus rechtfertigen den Feminismus“ ließe sich ähnliches zur Privilegiendebatte sagen, da rassistische, sexistische oder anderweitig -istische Ausfälle in der Regel nicht lange auf sich warten lassen. Dazu wird abgewehrt, diffamiert und fleißig an Strohmenschlein gebastelt, um sich bloß nicht für eine Sekunde die Reflexion der eigenen Verstricktheit in die Verhältnisse zumuten zu müssen.
Letztens bin ich im Konkret Magazin über einen Artikel gestolpert, der diese Strategie auch noch als Kritik verkauft, sich aber eigentlich von den üblichen Internetkommentaren zum Thema „männliches Privileg“ nur dadurch unterscheidet, dass sein Autor das Akademikerdeutsch „kritischer Theoretiker“ besser beherrscht.
Der Artikel trägt den vielsagenden Titel „Repression für alle“ und war bis vor einer Weile noch online nachzulesen. Ich habe ihn leider nirgends mehr finden können, was zu Demonstrationszwecken natürlich bedauerlich ist, andererseits würde es mich freuen, wenn jemand diesen Mist bewusst vom Netz genommen hätte. Im besten Fall natürlich der Autor selbst. [Edit Daisy: Der Conne Island Newsflyer hat den Beitrag noch einmal abgedruckt; online lesbar unter CEE IEH #209: Repression für alle.]

Zum Thema des Privilegs, das er vorgibt zu behandeln, ließe sich wie gesagt einiges an schlauen Dingen schreiben. Ich möchte hier aber nicht meine eigenen 50 ct dazugeben, sondern lieber kurz über die Strategie reden, derer sich dieser Artikel bedient, um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema gar nicht erst zuzulassen. Mir scheint diese Methode schon länger das Schema-F der Leute zu sein, die zwar immer irgendwas von kritischer Theorie erzählen, sie aber nur noch als Mittel zur Abgrenzung und Rechthaberei gebrauchen können.
Der erste Punkt auf den ich dabei eingehen möchte ist die Strategie der Abwertung eines Themas zur bloßen subjektiven Befindlichkeit irgendeiner Splittergruppe. So wird von Anfang an suggeriert, dass es sich dabei keinesfalls um irgendetwas von gesellschaftskritischer Relevanz handeln kann. Der erste Satz den Leo Fischer als Untertitel oder Zusammenfassung seinem Artikel voranstellt, lautet z.B. so:
„Die Sensibilitäten eines Jugendzentrums zu verstehen, dem eine nackte Brust als Gewalt gilt, mag manchen überfordern. Der Fall ist jedoch insofern symptomatisch, als der Begriff (männliches) Privileg im Zentrum der Debatte steht.“
Der Fall ist tatsächlich symptomatisch, wenn auch in anderem Sinne, als Fischer das hier meint. Worum es geht ist der Vorfall im AJZ Bielefeld, als ein Mitglied der Punkband Feine Sahne Fischfilet sich seines Shirts entledigte und daraufhin gebeten wurde, dies zu unterlassen, da eventuell Opfer von sexueller Gewalt sich getriggert fühlen könnten. Der Vorfall wurde breit diskutiert, mal mehr mal weniger vernünftig, z.B. hier und hier und ich möchte dazu eigentlich nichts weiter sagen.
Symptomatisch ist nun, dass Fischer diesen Vorfall von vornherein als Sensibilitäten eines Jugendzentrums abtut: die sind halt empfindlich, die sollen sich mal nicht so anstellen, blablabla. Das hat nämlich nichts mit gesellschaftlichen Normen (und schon gar nicht mit Privilegien) zu tun, dass sich manche Menschen jederzeit oben frei machen können, während andere dafür beleidigt, geschlagen, oder verhaftet werden. Insofern könnte eins es auch einfach als Ausdruck der Solidarität verstehen, auf dieses Privileg zumindest für die Stunde oder zwei die so ein Konzert dauert zu verzichten, damit alle entspannt zusammen feiern können. Nein? Nein, denn der vorhin zitierte Satz lautet in der Vollversion so: „Die Sensibilitäten eines Jugendzentrums zu verstehen, dem eine nackte Brust als Gewalt gilt, das aber einen Holocaustüberlebenden wie Karl Pfeifer von Veranstaltungen ausschließt, weil er als „Zionist“ identifiziert wird, mag manchen überfordern. (…)“ 
Überfordern? Wieso? Schließlich befinden wir uns in Deutschland und die Wahrscheinlichkeit hier Antisemit_innen ist dementsprechend hoch. Was mich überfordert ist der hier reichlich subtil angedeutete kausale Zusammenhang zwischen irgendwelchen „Sensibilitäten“ gegenüber nackten Männerbrüsten und dem Antisemitismus. Der existiert so nicht. Alles was damit erreicht werden soll, ist eine weitere Delegitimierung und Abwertung des „Gegners“, im Falle dieses Artikels sind das „Queerfeminist_innen“ „Linke“ und offensichtlich alle, die sich in der Theorie wie in der Praxis irgendwie kritisch mit Privilegien auseinandersetzen. Diese Abwertung wird weitergeführt in Formulierungen wie „(...) der durchgeknalltere Teil der queerfeministischen Szene (...)“, woran sehr schön das Maß an Differenzierung sichtbar wird, die hier geleistet wird. Offensichtlich ist der Autor immerhin in der Lage, zwischen einem durchgeknallten und einem durchgeknallteren Queerfeminismus zu unterscheiden. Bravo.
Ansonsten handelt es sich bei dieser Szene aber selbstverständlich um einen homogenen Block. Das muss auch so sein, denn sonst funktioniert der nächste Trick nicht mehr.
Der geht so: aus dem Monolithen picke sich eins den offensichtlichsten Blödsinn heraus und kritisiere diesen stellvertretend für das Ganze. Hier müssen Peggy McIntosh und Andrea Smith als pars pro toto herhalten. Hätte Fischer sich aber die Mühe gemacht, für seinen Artikel ein wenig Recherche zu betreiben, oder mal einen Blick in die verhasste „queerfeministische Szene“ zu werfen, hätte er ziemlich schnell festgestellt, dass es auch innerhalb der „Szene“ Kritik an deren Privilegienbegriff und Theorien gibt. Und zwar um einiges differenzierter als das was er selbst abliefert, denn bis jetzt hat er zum Privilegienbegriff eigentlich nur folgendes zu sagen:
„Privileg ist ein Wort, von dem auch geduldigen Lesern linker Blogs und Pamphlete mittlerweile speiübel werden dürfte, so omnipräsent wie es ist; wie Glutamat wird es über fade Textprodukte gestreut, die aus eigener Kraft kaum nach Kritik schmecken. Es entstammt jenem Heimwerkerbedarf für Theorie, der überall dort aufmacht, wo kritische Wissenschaft erfolgreich aus den Universitäten getilgt wurde und ihre Reste in studentischen Lektürezirkeln und offenen Seminaren studiert werden, wie kuriose Fossilien. Ähnlich wie bei den Szenevokabeln „Übergriff“ „triggern“ und „Kackscheiße“ ersetzt dabei die Wut, die den Begriffen injiziert wird, die Theorie, die ihnen nicht mehr zur Verfügung steht.“
Als ziemlich ungeduldige Leserin linker Blogs, Zeitschriften etc. kann ich guten Gewissens sagen, dass mir das Wort Privileg keine Magenbeschwerden verursacht. Wovon mir jedoch inzwischen speiübel wird, ist dieser nach Zustimmung geiernde Jargon, der wohl irgendwie an Adorno erinnern soll. Aber da wo Adornos Sprache den Versuch darstellte, sich dem Gegenstand anzunähern, ihm mit Begriffen so gerecht wie möglich zu werden, wird hier nur noch versucht, sich den Gegenstand soweit wie möglich vom Hals zu halten. Mal ganz davon abgesehen, dass Adorno das Verhältnis von Kritik, Wissenschaft und Universität etwas problematischer fand, ging es auch nicht darum, die Wut aufs Bestehende durch eine Tasse Tee im Elfenbeinturm zu ersetzen, bei der es sich schön objektiv und neutral über die Verhältnisse reden lässt.
Aber so hat man sein Ziel schon nach der Hälfte des Artikels erreicht. Man hat sich selbst bewiesen, dass die Auseinandersetzung mit dem Privilegienbegriff unnötiger Schwachsinn ist und hat sich gleichzeitig von der Zumutung zur Selbstreflexion befreit.

Der Rest des Artikels fällt in die Kategorie „Was ich sonst noch Zusammenhangloses zum Thema sagen wollte“ und ich will nur noch kurz auf einen Punkt eingehen, der mich in dieser Form einfach zu sehr geärgert hat, um ihn stillschweigend zu ignorieren. Aber eigentlich ist fast an jedem Satz irgendwas falsch, das ist auch eine Leistung. Hier mein persönliches Highlight:
Fischer behauptet, es ginge den Kritiker_innen von Sexismus, Rassismus und anderen -ismen lediglich um einen gerechteren Kapitalismus. Das sei aber verwerflich, weil: „den Kapitalismus gerechter machen heißt, ihn zu stabilisieren.“
Ok... aber ist das nicht irgendwie das Dilemma der Revolutionär_in in unrevolutionären Zeiten? Ich kann mich noch dunkel erinnern, als das Credo „der Partei“ lautete, in solch einem Fall müsse eins sich eben für das kleinere Übel enterscheiden. Liberalismus oder Barbarei hieß das damals, glaub ich. Demgegenüber wäre es mir auch neu, dass man die Verelendung der Massen jetzt wieder prima findet, weil dann der Kapitalismus ins Wanken gerät. Hier wird bewusst Diskriminierung und Ausbeutung in Kauf genommen und das auch noch als revolutionärer Akt verkauft. Aber ich versteh schon. Was geht mich das Elend anderer Leute an? Mit dem Gütesiegel „unrevolutionär“ hat man die ganzen -ismen mal schnell zum Nebenwiederspruch erklärt und muss sich nicht weiter mit so was wie (Selbst)reflexion rumärgern. Über die eigene Stellung nämlich. Und die damit verbundenen Handlungsspielräume, die Privilegien.
Da ist es auch nur konsequent, wenn dann wie in den üblichen Forenkommentaren der Männerrechtler bejammert wird, dass die bösen Queerfeminist_innen ja einfach nur die Unterdrückung umkehren wollen, durch das Verbot „selbstverständlichster Freiheiten“, die sie einem einfach wegnehmen, und irgendwas davon, sich ja auch noch schuldig fühlen zu müssen, wenn es nach diesen schrecklichen Emanzen ginge. Wie man sich dabei noch ohne schlechtes Gewissen auf Adorno beziehen kann, ist mir lange ein Rätsel geblieben. Inzwischen habe ich jedoch rausgefunden, dass es glücklicherweise in jenem „Heimwerkerbedarf für kritische Theorie“ auch ein Regal mit Adorno Zitaten für jede Gelegenheit gibt. Ich werde es dem Autor also nach machen und zum Ende noch einmal beherzt zugreifen:
„Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg. Das einzige, was sich verantworten läßt, ist, den ideologischen Mißbrauch der eigenen Existenz sich zu versagen und im übrigen privat so bescheiden, unscheinbar und unprätentiös sich zu benehmen, wie es längst nicht mehr die gute Erziehung, wohl aber die Scham darüber gebietet, daß einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt.“ (Adorno, Minima Moralia)

Hier möchte ich noch auf einen ausgezeichneten Text von John Scalzi hinweisen, der das Prinzip Privileg mit Hilfe einer Videospielanalogie als leichtesten Schwierigkeitsgrad erklärt. Der Artikel ist zwar auf Englisch, dafür aber auch für nicht-gamer verständlich:

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